Irgendetwas war anders in den vergangenen Wochen in den deutschen Bundesligastadien. Nicht gerade das spielerische, sondern vielmehr die Fankurven waren das auffällige Merkmal. Beim Auftaktspiel Hertha BSC Berlin gegen Werder Bremen sorgten Ultras beider Fanlager durch den Einsatz von Trillerpfeifen für eine ohrenbetäubende Lautstärke, Fangruppen von Vereinen wie dem SC Freiburg, Fortuna Düsseldorf, FC Ingolstadt, 1860 München, Eintracht Braunschweig und vielen weiteren Vereinen präsentierten Spruchbänder und warfen Klopapierrollen und die Fans von Union Berlin verwehrten ihrer Mannschaft am vergangenen Wochenende 15 Minuten lang komplett die Unterstützung. Die gemeinsame Intention der Aktionen war Protest gegen den Zweitligaaufsteiger RasenBallsport Leipzig. Die Initiative “Nein zu RedBull – Für euch ist es nur Marketing – für uns Lebenssinn!” hatte zu den Protesten aufgerufen.
Den Verein RasenBallsport Leipzig gibt es in der heutigen Form seit 2009. Vor fünf Jahren entschied sich RedBull, der wohl bekannteste Hersteller grausam-schmeckender Energydrinks, sein Engagement im Sportbereich nach Deutschland auszweiten und dem SSV Makränstädt das Startrecht in der Oberliga abzukaufen. Zusätzlich dazu wurde die Erste Mannschaft des Vereins, inklusive aller Spieler und des Trainerstabs, sowie die ersten Drei Herrenmannschaften des Vereins übernommen. Der SSV Makränstädt wurde sozusagen von RedBull geschluckt. Das Ergebnis war der Verein RasenBallsport Leipzig e.V., der sich mithilfe von Investitionen nach einer Saison in der Oberliga, drei Runden in der Regionalliga und einem Jahr in der 3. Liga in die zweite Fußballbundesliga spielte. Dort ist der Verein einer der Aufstiegsaspiranten und befindet sich nach den ersten Spielen in der zweiten Bundesliga in der Spitzenregion.
Schon 2010 gründete sich mit den Ultras Red Bull Leipzig eine Gruppe, die sich an dem Protest gegen RB Leipzig störte. Auf ihrem Blog präsentierte die Gruppe ein Bild, auf dem sie vor dem Kurt-Wabbel-Stadion in Halle mit einem Banner mit der Aufschrift “Red Bull verleiht Prügel” posierten, sowie mit Aufklebermotiven wie “Für den modernen Fußball” und “Tradition seit 2009” persiflierten sie gängige Ultra-Dogmen. Kurze Zeit später veröffentlichte die Gruppe einen Aufruf, in dem Sie ihre Existenz leugnete und ihre Kritik am Hass auf RB Leipzig äußerten. Auch wenn die Gruppe nie wirklich existierte, waren die Reaktionen im Internet erschreckend. Die heftigen Gewaltandrohungen gegen eine Gruppe, die noch nie ein Spiel von RB Leipzig besucht hatte, wurden so immens, dass die Gruppe ihren Fake auflösen musste. Noch immer sind RB Leipzig-Fans wohl diejenigen, die ganz allgemein den größten Anfeindungen ausgesetzt sind. Nach der Aufstiegsfeier im Mai wurde der RB-Trommler Mocke in der Nähe des Stadions zusammengeschlagen. Im Internet waren danach auf diversen einschlägigen Plattformen höhnische Kommentare zu lesen.
Mittlerweile hat sich, den Drohungen zum Trotz, auch in Leipzig eine Fanszene entwickelt. Obwohl es keine Fanszene nach typischem Muster mit tonangebenden Gruppen und starken Strukturen gibt, sind im Stadion der roten Bullen Fahnen, Doppelhalter und manchmal sogar Choreographien zu sehen, Megafone und Trommeln koordinieren und intensivieren den Support. Mittlerweile haben sich mehrere Gruppen gegründet, deren Fokus auf dem Support von RB Leipzig liegt. Im letzten Jahr kamen mehrmals über 30.000 Besucher in das ehemalige Zentralstadion, Zahlen von denen andere Drittligisten nur träumen können. Fehlende Fankultur kann man RB Leipzig nicht vorwerfen, auch wenn die Fankultur bei RB sich von der üblichen etablierten unterscheidet.
Das Modell von Unternehmen, die Geld an Sportvereine überweisen und sich davon mehr als ein nettes Dankeschön erwarten, ist kein neues. Finanzielle Notlage zwang Eintracht Braunschweig zu Kreativität, die zu dem Ergebnis führte, dass anstelle des Vereinswappens das Logo von Jägermeister auf die Trikots der Eintracht-Spieler gedruckt wurde. 500.000 DM war dem Likörhersteller die Brust der Eintracht wert. Andere Vereine übernahmen das Modell schnell für sich, das Trikotsponsoring in der Bundesliga war schnell etabliert. Finanzielle Unterstützung hatten die Vereine jedoch schon zwanzig Jahre zuvor erhalten. Der Autokonzern VW hält den VfL Wolfsburg seit den fünfziger Jahren mit finanziellen Mitteln am Leben – und verspricht sich dadurch auch eine enge Verknüpfung mit Spieler*innen, den Fans und den Erfolgen des VfLs. Doch weil es derart gut organisierte Fangruppierungen wie die Anti-RB-Initiative in den 70er oder gar den 50er Jahren nicht existent waren, verebbte der anfängliche Aufrur über Investoren im Profifußball schnell. Schließlich konnte dadurch irgendwie jede*r den einen oder anderen Betrag dazuverdienen.
Vielleicht auch deshalb verdeutlicht die Initiative in ihrem Aufruf schnell, dass sie nicht zwischen guten und Bösen Investoren unterscheiden wolle – und tut dann genau das im folgenden Satz, in dem Sie anführen, dass die die beiden berühmtesten und ältesten ‘Investorenvereine’ Vfl Wolfsburg und Bayer Leverkusen eine Sonderrolle einnähmen – weil Sie ihren Erfolg hart und mit wenigen Mitteln erarbeiten hätten müssen. Die Lächerlichkeit dieser Aussage wird einem allerdings bewusst, wenn man sich die deutlichen Zahlen ansieht: Seit 1952 wird der Vfl Wolfsburg durch Volkswagen finanziell unterstützt. Verhältnismäig früh, 2001, erwarb der Autokonzern 90% der Lizenzspielerabteilung, der Vfl Wolfsburg GmbH, 2007 wurden die restlichen 10% der Anteile erworben. Unter Manager Felix Magath gab der Verein innerhalb von nur zwei Saisons 63 Millionen Euro für Spielertransfers aus, dem standen 17,4 Millionen € Ausgaben entgegen. Insgesamt konnte sich der Verein also mit über 45 Millionen Euro innerhalb von zwei Jahren an den Meistertitel, der 2009 schließlich erreicht wurde, herankaufen. Investitionen in Vereinsinfrastruktur wie der Volkswagen-Arena und in topmoderne Jugendleistungszentren mal außen vorgelassen. Hart erarbeitet wurde dieser Erfolg wohl eher weniger vom Vfl Wolfsburg selbst, sondern viel eher von den Mitarbeiter*innen von Volkswagen, die VW Investitionen in millionenhöhe erlaubten. Ein Dutzend Fußballvereine in der ersten und zweiten Liga werden durch Investoren unterstützt. Dass es dem Rest nicht gelungen ist, sich einen zahlkräftigen Investor an Land zu ziehen, ist wohl wahrscheinlicher als die Annahme der Vereinsspitzen, ihr Verein würde an der Kommerzialisierung zu Grunde gehen.
Kapitalismus und Fußball, lassen sich, so platt es sich anhört, nicht trennen. Spieler*innen, Trainer*innen und Funktionär*innen möchten für die Arbeit die sie auf und rund um den Rasen leisten, bezahlt werden. Die Nachfrage nach Sportunterhaltung ist groß, Millionen Menschen möchten sich die Spiele der Profiligen ansehen. Fernsehsender lassen sich die Übertragung von Fußballspielen Millionen kosten. Und Fans bezahlen entweder mit einem Pay-TV-Abo oder aufdränglicher Werbung von Wettanbietern und Biermarken. Doch nicht nur Fernsehgelder und Eintrittskarte sind Einnahmequellen der Vereine. Auch an Fanartikeln, die vom Trikot bis zum Badezimmerstöpsel reichen, verdienen die Vereine. Ein Verein, der Marketing perfektioniert hat, ist Real Madrid. Die Rekordsummen die bei den Transfers von Cristiano Ronaldo und Gareth Bale überwiesen wurden, wurden alleine durch den Verkauf von Trikots mit dem Namen der Spieler wieder reingeholt. Im Stadion wird Geld durch Catering und Bandenwerbung, sowie dem Stadionnamen gemacht. Das ist bei jedem Profiverein zur Normalität geworden. Initiativen gegen Gazprom, T-Mobile, Adidas oder Evonik gab es – trotz gigantischer Investitionen im Fußball – bisher nicht.
Und auch Vereine wie Union Berlin oder der FC St. Pauli, die oft als Beispiele für Nicht-Kommerzialisierte Vereine hergehalten werden, spielen mit im Kapitalismus. 2004 wagte der FC St. Pauli einen Vorstoß im Bereich Marketing und verkaufte einen Großteil seiner Markenrechte an den Vermarkter Upsolut – Der aus dem charakteristischem Totenkopfsymbol und dem St. Pauli-Schriftzug eine Modemarke machte. Mittlerweile spielt der FC St. Pauli was Merchandising angeht längst in der Spitzengruppe der deutschen Vereine mit. Viel Verein bleibt bei der aktuellen Kollektion nicht über. Das Totenkopf-Shirt gibt es in allen möglichen Farben und Variationen, nur die Assosziationen an den Fußballverein FC St. Pauli werden mit jedem neuen Shirt schwächer.
Bei Union Berlin sind Investor*innen eine lukrative Einnahmequelle. Eine eigene Abteilung “Sponsorenbetreuung” soll ebendiesen eine Loge im Stadion schmackhaft machen. Im Fanshop des Berliner Vereins werden neben sexistischen rosa Shirts für Frauen* auch Toaster, Eieruhren und Bierdeckel angeboten. Kommerz schreit da keine*r. Und auch die Brust vom FC St. Pauli und Union Berlin wurde von Sponsoren gekauft, auch hier wird mit dem Geld von Unternehmen gerechnet. Fußball ohne Kapitalismus – Das ist, zumindest in den Profiligen – einfach undenkbar.
Es ist zu kritisieren, dass es möglich ist, den Namen von Fußballvereinen zu verkaufen. Ebenso ist es zu kritisieren, dass Entscheidungen im Verein nicht mit den Fans, sondern vielmehr gemeinsam mit den Investoren getroffen werden. Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs ist absolut richtig und angebracht – So lange sie mit dem System in Verbindung gebracht wird. Das System heißt noch immer Kapitalismus und der Fußball kann sich – und konnte sich diesem System nie entziehen. Wer also RB Leipzig, 1899 Hoffenheim und “Investorenvereinen” den garaus machen möchte, sollte nach dem Großen Ganzen greifen. Kommerzialisiert ist jeder Profi-Fußballverein.
Gerade Gesehen: Das aktuelle TRANSPARENT-Magazin beschägtigt sich intensiv mit RB Leipzig. Zur Sprache kommen unter anderem Vertreter der Initiative “Nein zu RB” und der RB-Fanclub “Rasenballisten” zu Wort.
Zur Kenntnis: Investoren in der ersten und zweiten Bundesliga:
Hamburger SV (Klaus-Michael Kühne), TSV 1860 München (Hasan Ismaik), Hannover 96 (Martin Kind), Hertha BSC (KKR), Borussia Dortmund (Evonik, Bernd Geske, Crispin Odey), Eintracht Frankfurt (Bankhaus Metzler, die DZ Bank, die Hessische Landesbank und die BHF Bank [“Freunde der Eintracht AG”], Streubing AG), FC Ingolstadt (quattro/Audi), Carl Zeiss Jena (Roland Duchatelet, staprix NV), Bayern München (Adidas, Audi, Allianz), Vfl Wolfsburg (VW), RB Leipzig (Red Bull) und Bayer Leverkusen (Bayer)
Starker Blog!!
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Danke für den Beitrag. Es ist natürlich völlig richtig, dass Profifußball und Kapitalismus heute nicht voneinander trennbar sind. Und Sexismus ist dort nicht erst bei rosa Shirts zu entdecken. Die Diskussion um RB Leipzig ist daher eine scheinheilige, ihre Doppelmoral wird erst durch die Konsequenz RedBulls gefüttert, das Spiel nach allen Regeln der Kunst – oder besser des Marktes zu spielen. Konsequenter als sich schwarze Müllsäcke anzuziehen wäre es also, sich dem im Sportkapitalismus üblichen Erfolgsimpetus zu entziehen und zu konstatieren: wir wollen nicht wachsen, mehr Geld einnehmen, in die erste Liga aufsteigen. Nein, wir wollen da bleiben wo wir sind, vielleicht auch mal absteigen, wenn es dann netter, weil ruhiger wird. Dieser Mut zum Abstieg täte dann auch außerhalb des Fußballs gut.
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[…] ist Fußball und Kapitalismus ist Kapitalismus? Blog “Die schlechtesten Geschichten”über Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs und Kritik am Hass auf […]
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